Ist eine Zeiterfassung jetzt Pflicht?

Unklarheiten aufgrund noch offener Gesetzgebung

Vielen Arbeitgebern ist seit dem Urteil des EuGHs noch unklar, wie die Pflicht der Zeiterfassung genau gehandhabt werden soll. Offene Fragen werden bisher von Arbeitsgerichten entschieden.
Ein Urteil des Arbeitsgerichts Emden sorgte Ende 2020 für Aufsehen und wird nun schlussendlich vor dem BAG entschieden. Es ging um eine Angestellte, die von ihrem Arbeitgeber 20.000 € für absolvierte Überstunden verlangte. Überraschenderweise fiel das Urteil des AG Emden zugunsten der Klägerin aus. Das AG begründet das Urteil damit, dass die Überstunden im firmeneigenen Zeiterfassungssystem dokumentiert wurden. Für die Mitarbeiterin galt Vertrauensarbeitszeit. Laut Aussage der Richter, wäre es den Vorgesetzten jederzeit möglich gewesen, die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden zu erkennen. Offensichtlich wurden diese jedoch geduldet. Die Richter des AG Emden wiesen auf das EuGH-Urteil aus 2019 hin, nach dem Unternehmen ja ohnehin zur Zeiterfassung verpflichtet seien. Auch in diesem Fall bleibt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten.
Im September 2022 verkündete das Bundesarbeitsgericht in Erfurt sein Urteil zum Fall der Beteiligung bzw. des Initiativrechts des Betriebsrats bei der Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung. Wie oben geschrieben, hatte der Arbeitgeber gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom Juli 2021 Rechtsbeschwerde eingelegt, die vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg hatte. Damit wird ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems ausgeschlossen.
Die Urteilsbegründung in diesem Fall ist allerdings bemerkenswert. „Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber aber bereits gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. (Quelle: www.bundesarbeitsgericht.de)
Aus dieser EU-konformen Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes ergibt sich eine Verpflichtung für alle Arbeitgeber, ein System zur Erfassung sämtlicher Arbeitsstunden der Mitarbeiter einzuführen. Hierfür gibt es nun folglich keinen Anpassungsbedarf mehr, den die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag prüfen wollte. Dieses Urteil führt direkt zur Verpflichtung für Arbeitgeber in Deutschland zur vollständigen Zeiterfassung.